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Carla Pohl

Ein Tag mit Evelyn Richter

Schnell meine Fotos
zusammenpacken und dann geht es los nach Dresden, um Evelyn Richter
zu besuchen. Ich bin etwas nervös; nehme die Fahrt zum Anlass noch
einmal kurz einige Fakten über die Fotografin Revue passieren zu
lassen, um mich zu beruhigen.

Evelyn Richter, 1930
in Bautzen geboren, lernte von 1948-1952 Fotografie bei Pan Walther
und studierte von 1953-1956 an der Hochschule für Grafik und
Buchkunst in Leipzig. Seit 1980 lehrte sie dort zunächst als
Leiterin der Fachklasse Fotografie, danach als Lehrbeauftragte, seit
1992 als Professorin.

Die Fotografin arbeitete als freie Fotografin, was in der ehemaligen DDR nicht ganz
einfach war, so dass eine regelmäßige Zensur ihre gesellschaftliche
Kritik durchzog. Ihr bildjournalistisches Wirken hatte aufgrund einer
immanenten kritischen Position auch großen Einfluss auf die jüngere
Generation. Ein Grund, weswegen ich mich darum bemüht habe, mit
Evelyn Richter ein Treffen zu vereinbaren. Ein weiterer Grund ist die
Bekanntschaft und gemeinsame Lehre an der HGB Leipzig mit Arno
Fischer.

Arno Fischer, der
unbekannteste Bekannte der DDR-Fotografen, steht mir sehr nah, nicht
nur in der Fotografie, sondern auch menschlich und familiär. Sibylle
Bergemann, Fotografin und Ehefrau Arno Fischers ebenso, aber dazu in
einem anderem Blogbeitrag mehr.

Zurück zu Evelyn
Richter…

Während der
Ausstellung „action fotografie“ im Messehaus Handelshof in
Leipzig lernt sie Arno Fischer kennen. Er lädt Evelyn Richter
spontan ein, mit ihm nach Warschau zu fahren, wo Beide gemeinsam ihr
Werk im Verband polnischer Kunstfotografen ausstellen. Wenn ich mir
die Werke von Evelyn Richter anschaue, erkenne ich eine bestimmte
Ähnlichkeit bei meinen eigenen Fotografien bzw. meiner Themenwahl.

Nach ungefähr zwei
Stunden komme ich bei der Fotografin an. Ich betrete das Pflegeheim,
denn die mittlerweile 86-jährige Frau ist überwiegend ans Bett
gebunden. Nach einigem Suchen, finde ich nun auch ihr Zimmer.
Vorsichtig trete ich ein; Evelyn Richter begrüßt mich freundlich,
ich setze mich zu ihr. Sie fragt mich nach meinen Fotografien, ich
reiche ihr das Mitgebrachte Sie blättert meine Bilder durch, beginnt
mit meinen Polaroids und „meinen ersten Gehversuchen mit einer
Mittelformatkamera“.

Auf meine Frage was
denn ein gutes Foto ausmacht und wie ich wahre Emotion in ein Bild
bringen kann, antwortet sie: „Man fotografiert immer das was da
ist. Ein gutes Bild hat eine Geschichte und ganz wichtig, es ist
komponiert. Folge der Prozession.“

Langsam kommen wir
ins Gespräch. In manchen Momenten huscht über das Gesicht der
„Grand Dame“ die junge Evelyn Richter. Das sind für mich die
ganz besonderen und bezaubernden Momente. Sie möchte doch noch
ihren Führerschein machen, dann muss sie nicht mehr so viel
schleppen. Die Kamera muss leicht und leise sein, denn manchmal,
gerade im Theater oder bei den Musikern, ist es peinlich, wenn so
laut fotografiert wird – der Fotograf als Störfaktor?! Deswegen
immer ihre erste Frage, beim Kauf einer Kamera, wie laut ist sie?

Daraufhin hole ich
meine Kiew 88, eine ziemliche laute und schwere Mittelformatkamera,
aus meiner Tasche. Evelyn Richter nimmt sie in die Hand und erzählt
aus ihren Erinnerungen wie schwer ihre Hassselblad war. Dann ziehe
ich noch meine Nikon aus der Tasche und mache das eine Foto aus ihrem
Fenster. So laut ist die gar nicht, jedoch immer noch zu laut.

Beim Fotografieren
halte ich häufig die Luft an, um nicht zu verwackeln oder die
Nervosität zu durchbrechen – Evelyn Richter lächelt mich an,
erzählt mir, sie tut es auch.

Auf die Frage, wo
der Unterschied zwischen den damaligen Fotografen*innen und den
Heutigen liegt, antwortet sie, der Unterschied liege nicht in der
Schwere in dem Bereich zu arbeiten, es ist der Zusammenhalt der
Fotografen*innen – in der ehemaligen DDR gab es diese starke
Verbundenheit. So hat Evelyn Richter, wenn sie in Berlin war bei Arno
Fischer und Sibylle Bergemann gewohnt – andersrum genauso – auch
haben sich die Fotografen*innen gegenseitig empfohlen, was definitiv
einer der größten Unterschiede zu heute ist.

Ich bin ja studierte
Kunsthistorikerin und als Fotografin Autodidaktin, fotografiere
jedoch seit 20 Jahren und das ist auch mein Traumberuf. Evelyn
Richter erzählte mir daraufhin, sie wollte immer Kunstgeschichte
studieren und ist eher durch einen Zufall zur Fotografie gekommen.

Ich hoffe, sie noch
einmal besuchen zu dürfen und vielleicht ist es dann auch möglich,
mit ihr in der Sonne spazieren zu gehen. Ihr Garten – sie wünscht
sich so sehr in ihrem Garten zu sitzen – ich wünsche mir, dass es
noch einmal möglich sein wird für sie.

Auf eine bestimmte
Weise fühle ich mich Evelyn Richter sehr verbunden und deswegen ist
ihr Abschiedsgruß an mich sehr bewegend: „Ich wünsche Ihnen viel
Mut und Kraft für den weiteren Weg als Fotografin. Und viele
Aufträge.“

Als letztes möchte
ich noch Prof. Peter Richter (Bruder) und dem Evelyn Richter Archiv
herzlich danken, dass sie mir dieses Erlebnis so unkompliziert und
freundlich ermöglicht haben. DANKE!!